Ansichten
zu Politik und Recht

Eugen David

Kantonsregierungen
unterwegs nach Europa

Alte Position

Die Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) positionierte sich letztmals am 25. Juni 2010 grundsätzlich zu Europa mit folgenden Punkten:



  • Beibehaltung der bestehenden Abkommen CH-EU

  • selektiver Ausbau der Beziehungen zur EU, dort wo es für die Schweiz vorteilhaft ist

  • Abschluss einer Rahmenvereinbarung CH-EU

  • Reform und Festigung der föderalistischen Staatsstruktur im Inland

Aktuelle Position

Jetzt, 13 Jahre später, stellt die KdK eine schleichende Erosion der bilateralen Abkommen fest und beschliesst am 24. März 2023 ihre aktuelle Position:

  1. Weiterführung der bilateralen Verträge

  2. Vollassoziierung der Schweiz an Horizon Europe und Erasmus+

  3. neue bilaterale Verträge im Energie- und Gesundheitsbereich

  4. laufende Übernahme von EU-Recht, soweit die Schweiz am europäischen Binnenmarkt beteiligt ist, vorbehältlich der bisherigen innerschweizerischen Zustimmungsverfahren

  5. separate Regelung der Übernahme des EU-Rechts in jedem Abkommen

  6. auch laufende Übernahme von EU-Subventionsrecht.
    Vorbehalt: keine wesentliche Eingriffe in die kantonalen Subventionskompetenzen und Ausnahmen für bestehende kantonale Subventionen

  7. Anerkennung des EuGH als letzte Instanz für die Auslegung des EU-Rechts

  8. rasche Klärung der Beziehungen zur EU

Die Punkte 1 bis 5 enthalten nichts Neues. Die KdK übernimmt die Forderungen, welche der Bundesrat aktuell an die EU richtet.

Subventionsrecht, Staatsbeihilfen

Bewegt haben sich die Kantonsregierungen im Punkt 6 Subventionsrecht (Staatsbeihilfen nach EU-Wording).

Die Kantone pflegen seit jeher zugunsten von privaten Unternehmen eine breite Subventionspalette. Im Vordergrund stehen Steuerprivilegien für Privatunternehmen und deren Besitzer, die sich im Kanton ansiedeln wollen, sodann die Bereitstellung von Land, Infrastruktur, Monopolrechten, schliesslich Direktzahlungen, Investitionsbeiträge etc.

Nach EU-Recht sind selektive Privilegien für private Unternehmen verpönt, aber nicht schlechthin verboten. Unter bestimmten, rechtlich kontrollierten Voraussetzungen können sie von der EU-Kommission bewilligt werden.

Übergeordnetes Ziel bleibt aber, Wettbewerbsverfälschungen durch Subventionen im europäischen Binnenmarkt möglichst zu vermeiden. Verboten sind Willkür-Subventionen von Exekutiven, auch im Interesse der Korruptionsbekämpfung.

Die Kantonsregierungen machen einen Schritt vorwärts und wollen das EU-Recht grundsätzlich anerkennen. Danach machen sie einen Schritt zurück, indem sie die bestehende kantonale Subventionspraxis als Ausnahme beibehalten wollen.

Wie Frau Staatssekretärin Leu damit in den Verhandlungen mit der EU weiter kommen soll, lassen die Kantonsregierungen offen.

Anerkennung der EuGH-Rechtsprechung

Eine echte Entwicklung zeigen die Kantonsregierungen im Punkt 7 mit der Anerkennung der Rechtsprechung des EuGH zum europäischen Binnenmarktrecht, soweit die Schweiz am europäischen Binnenmarkt beteiligt ist.

Die einheimischen Rechtsnationalen und der Bundesrat lehnen diesen Schritt mit der Parole „keine fremden Richter“ bisher ab.

Die SVP ist in den Kantonsregierungen stark vertreten. Dennoch erfolgte der Positionsbezug der Kantonsregierungen offenbar einstimmig, was bemerkenswert ist.

Mit der Anerkennung der EuGH-Rechtsprechung setzen sich die Kantonsregierungen auch von den Gewerkschaften ab. Diese wollen verhindern, dass der EuGH über ihre Kontrolltätigkeit gegenüber EU-Handwerksbetrieben, die in der Schweiz Aufträge ausführen, urteilen kann.

Auch die SP und mit ihr die Gewerkschaften sind in den Kantonsregierungen stark vertreten.

Zukunft der Schweiz in Europa

Wie früher verzichten die Kantonsregierungen auf strategische Überlegungen über die Zukunft der Schweiz in Europa.

Der Weg der Schweiz heisst für sie – wie für den Bundesrat - unverändert:

Laufender passiver bilateraler und autonomer Nachvollzug des europäischen Rechts, ohne jede Mitwirkung an der Rechtsgestaltung in den gesetzgebenden europäischen Institutionen.

Dieser Weg in die unilaterale rechtliche Abhängigkeit ohne demokratische Mitbestimmung wird immer breiter. Das europäische Recht umfasst laufend mehr Bereiche und wirkt sich immer mehr im Alltag der Einwohner der Schweiz aus. Der Weg hat nichts mit Demokratie, Souveränität oder Neutralität zu tun.

Immerhin bezeichnet die KdK – anders als der Bundesrat – diesen Weg nicht als „Königsweg der Schweiz“.

Die 13 Jahre, die zwischen der alten und der neuen Position der Kantonsregierungen liegen, und die geringe Differenz der beiden Positionen bestätigen den immensen Zeit- und Kraftaufwand, der für eine Meinungsbildung zu Europa in offiziellen schweizerischen Gremien anfällt. Man bewegt sich - wenn überhaupt - im Millimeterbereich.

FDP-BR Cassis hat vor seinem Amtsantritt als Aussenminister den einheimischen Rechtsnationalen versprochen, er werde in der Europa-Politik den Resetknopf drücken. Das wirkt sich in allen Gremien lähmend aus.

Die Kantonsregierungen sind indessen mit ihrer Positionierung vom 23. März 2023 doch einen Schritt weiter als Bundesrat und Parlament, die vollständig stagnieren.

Mit dem Ukrainekrieg kommt die Sicherheitsfrage hinzu: jedem – ausserhalb der rechtsnationalen Szene – leuchtet ein, dass sich die Länder Europas nur gemeinsam gegen einen militärischen Angriff verteidigen können und eine Sonderlösung für die Schweiz nicht existiert.

Mit dem aktuellen Positionsbezug machen die Kantonsregierungen ungesagt deutlich, dass sich die Schweiz der Integration des Kontinents nicht entziehen kann.

Die KdK will sich aber – wie der Bundesrat - mit den Konsequenzen für die Zukunft der Schweiz in Europa nicht auseinandersetzen – jedenfalls jetzt nicht.

31.03.2023

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